„Wir können andere Menschen nicht verändern, sondern müssen bei uns selbst anfangen“ – Kieu-Anh Nguyen, Ehrenamtliche bei Über den Tellerrand Frankfurt, im Interview
Für uns bei DER FRANKFURTER spielt das soziale Engagement in unserer Stadt eine wichtige Rolle, deshalb haben wir uns für regelmäßige Spendenprojekte entschieden, bei denen wir einen Teil unserer Anzeigenerlöse wohltätigen Organisationen in Frankfurt widmen. Alle vier bis acht Wochen stellen wir hier eine neue Organisation oder einen Verein vor und schaffen damit nicht nur Sichtbarkeit, sondern sammeln gleichzeitig Spenden.
In den nächsten Wochen stellen wir Ihnen den gemeinnützigen Verein „Über den Tellerrand Frankfurt e. V.“ vor, der wichtige Integrationsarbeit leistet. In dieser Ausgabe sprechen wir mit Kieu-Anh Nguyen, die ehrenamtlich im Verein tätig ist. Alle vorangegangenen Beiträge finden Sie unter der Rubrik Charity.
Liebe Frau Nguyen, wann und wie sind Sie zu Über den Tellerrand in Frankfurt gekommen?
Ich bin seit August 2019 in Frankfurt und da ich nicht in Vollzeit arbeite und meine Kinder schon aus dem Haus sind, wollte ich meine Zeit gerne in ein Ehrenamt investieren. Da ich sehr gerne koche und zuvor auch in diesem Bereich tätig war, dachte ich, dass es schön wäre, wenn auch das Ehrenamt damit zu tun hätte. Und so ging ich im Internet auf die Suche und bin schnell auf Über den Tellerrand gekommen. Das Konzept hat mich sofort überzeugt und noch dazu war es direkt bei mir um die Ecke. Nachdem ich dann den Kontakt aufgenommen hatte, ging alles ziemlich schnell. Seit November 2019 bin ich nun offiziell als aktives Mitglied dabei und sehr stolz, dass ich immer mehr Projekte begleiten darf.
Wie sieht Ihre ehrenamtliche Tätigkeit im Verein aus?
Am Anfang habe ich hauptsächlich bei Kochevents mitgewirkt. Einerseits bei unserem monatlichen Kochabend für geflüchtete und beheimatete Menschen hier in Frankfurt und andererseits habe ich auch Kurse für Unternehmen geleitet, die diese z. B. als Teamevent nutzen. Das machen bei uns immer die Ehrenamtlichen, die dann verschiedene internationale Gerichte mit den Teilnehmenden kochen. Für die Firmen ist es oft, wie in eine neue Welt abzutauchen und abseits des Business mal ganz ohne Druck zusammen zu sein. Das macht immer sehr viel Spaß und wir bekommen tolles Feedback darauf.
Bei unserem World Kitchen Projekt, das wir zusammen mit dem ASB Regionalverband Frankfurt organisieren, kochen wir zusammen mit Ehrenamtlichen und Geflüchteten in der Frankfurter Innenstadt. Einmal im Monat kommen wir dort zusammen und stellen ein großes Buffet auf die Beine, wozu wir Menschen, die dort wohnen, und andere einladen, die sich dort auf Spendenbasis bedienen, gemeinsam essen und sich kennenlernen können.
Seit zwei Jahren beteilige ich mich außerdem noch an unserem Kulturprogramm. Dabei bieten wir einmal im Monat für ca. 15 Personen einen Besuch in verschiedenen Frankfurter Kultureinrichtungen an, z. B. Museen, Zoo oder Palmengarten. Wir werden bei diesem Projekt freundlicherweise vom städtischen Projekt „Places to see“ in Form von Eintrittsgeldern unterstützt.
Auch an der Entwicklung unseres Kochbuchs „Frankfurt is(s)t bunt“ war ich beteiligt. Als die Idee entstanden ist, gab es direkt so ein großes Interesse von Ehrenamtlichen, die mitmachen wollten. Es wurden dann Rezeptideen aus aller Welt vorgestellt und in der Gruppe ausgewählt. Wir haben die 97 Gerichte natürlich auch noch einmal gemeinsam getestet, probiert und für das Buch fotografiert. Was das Buch zudem besonders macht, ist, dass die Köchinnen und Köche zu Wort kommen und neben ihrem Rezept auch ihre ganz persönliche Geschichte mit den Lesenden teilen.
Von mir haben es am Ende sogar drei Rezepte geschafft: Ein Hähnchen-Curry, eine Dumpling-Rolle und ein Nachtisch. Nach den zwei Jahren Arbeit ist es jetzt so schön zu sehen, dass die Bücher hier in Frankfurt in ganz vielen Museen und Shops ausgestellt sind. Das macht mich sehr stolz, denn Frankfurt ist bunt, genau wie die Gerichte in unserem Kochbuch.
Was gefällt Ihnen an der Arbeit besonders? Welche Herausforderungen gibt es?
Viele der Teilnehmenden, Ehrenamtlichen und auch die Hauptamtlichen sind jung und dynamisch, die Zeit zusammen macht immer Spaß und man fühlt sich auch automatisch jünger. *lacht*
Bei unserer Arbeit steht immer der Spaß und Zusammenhalt im Vordergrund und man merkt, dass alle mit 100%iger Überzeugung dabei sind. Bei den ganzen Menschen, die hier zusammenkommen, spielt die soziale oder geografische Herkunft keine Rolle, denn wir finden hier immer die Gemeinsamkeiten und gehen mit vollen Herzen nach Hause.
Und auch wenn die Finanzierung manchmal schon eine kleine Zitterpartie ist, geben die Hauptamtlichen immer alles und bis jetzt haben wir es zusammen immer geschafft.
Welcher Moment wird Ihnen immer in Erinnerung bleiben?
Ein paar geflüchtete Menschen kenne ich schon seit 2019 und jetzt ihre Entwicklung zu sehen, ist so beeindruckend. Sie sind alle so ehrgeizig und wollen etwas erreichen, ihr Deutsch ist mittlerweile richtig gut. Einige waren Teil des Karriere Buddy-Projektes und haben Ausbildungsplätze gefunden. Einer von ihnen hat nun einen guten Job bei einem Frankfurter Verein und ist auch bei unseren Events regelmäßig als Ehrenamtlicher dabei. Diese Erfolgsgeschichten zu hören, ist einfach großartig.
Aktuelle Geschehnisse hier in Deutschland machen viel Furore und gehen durch alle Medien. Es sind immer die schlimmen Dinge, die wir überall sehen und hören, aber diese guten Geschichten hören wir nie. Deshalb müssen wir so etwas viel mehr erzählen und weitertragen, sodass es bei allen ankommt.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Ich wünsche mir, dass wir alle immer weiter dafür kämpfen, dass es Frieden gibt, dass es mehr Toleranz und Offenheit in der Welt gibt und keine Vorurteile zur Herkunft oder zu Äußerlichkeiten. Ich wünsche mir, dass wir uns wieder mehr zuhören, mehr zusammenhalten, nicht alle über einen Kamm scheren und versuchen, die Hintergründe zu verstehen. Ich wünsche mir angesichts der aktuellen Situation, die mir Sorge bereitet, dass die Gesellschaft sich nicht noch mehr spaltet. Wir dürfen nicht aufgeben und müssen weiter zusammenhalten.
Wir können andere Menschen nicht verändern, sondern müssen bei uns selbst anfangen zu reflektieren und damit, ein Vorbild zu sein. Damit können wir in unserem Umfeld etwas bewegen und immer größere Kreise schlagen – das ist meine Vision für die Zukunft.
//Titelfoto: Die ehrenamtliche Mitarbeiterin Kieu-Anh Nguyen. © Uli Schlittgen, Über den Tellerrand Frankfurt e.V.