FRANKFURT | Nicht nur die Historie der Stadt, ihre Wirtschaftsgeschichte und immer wieder die verhängnisvolle Zeit der NS-Diktatur bieten nach wie vor reichlich Anlass zu Ausstellungen und literarischer Bearbeitung. Auch das heutige Frankfurt mit seiner vielschichtigen, komplexen Stadtgesellschaft bildet einen offenbar unerschöpflichen Fundus für wissenschaftliche Forschungen und natürlich Krimis – wobei sich angesichts mancher Auswüchse ironische oder parodistische Züge geradezu von selbst einstellen, oder ganz aktuelle Entwicklungen die Bühne für temporeiche Action bereiten.

Kinder mussten sehen, was Kinder nicht sehen sollten

Einige Jahre recht normaler Kindheit waren dem Jungen vergönnt, der 1930 in die noch recht heile Welt der Kuhwald-Siedlung hineingeboren wurde. Die kleinen und großen Freuden, Sorgen und Desaster des Heranwachsens in einem kleinbürgerlichen Ambiente bestimmten den alles andere als „grauen“ Alltag einer Frankfurter Stadtrandsiedlung, in der es bereits damals überraschend „bunt“ zuging. Mit feinen Strichen und bisweilen leiser Ironie zeichnet der Autor die Personen und Persönlichkeiten aus Familie und Wohnumfeld, die geradezu plastisch aus den Seiten hervortreten.

Erst langsam und unmerklich, dann immer tiefer dringt die NS-Diktatur in das Leben und Erleben ein, in der Schule beginnt die Indoktrination und das aufgenötigte, von den Eltern aber nach Kräften eingeschränkte Mitmachen in den braunen Jugendorganisationen. Schließlich verschwindet ein geistig behindertes Kind und wird – offensichtlich – im Heim getötet, und mit der „Reichskristallnacht“ und der Judenverfolgung rückt die Brutalität des Regimes auch einem Achtjährigen ins Blickfeld. Der bald folgende Kriegsausbruch bleibt zunächst noch abstrakt – bis zum Soldatentod älterer Nachbarsjungen und dem verstörenden Leid ihrer Familien.

Heckmann schreibt aus dem Blinkwinkel eines Kindes auf eine Welt, die sich rapide wandelte. Subjektiv, weil sich mit dem Heranwachsen die Perspektive änderte, und objektiv, weil diese Welt buchstäblich begann, auseinander zu brechen, als die Luftangriffe zunahmen, und schließlich das vertraute Frankfurt in Trümmern lag: Der Gymnasiast selbst überlebte nur knapp einen Bombeneinschlag in seiner Schule. Herbert Heckmann, später ein vielseitiger Autor, langjähriger HR-Mitarbeiter und Hochschullehrer, hat sein Buch, das hier als Neuauflage mit einer Biographie und einem erläuternden Nachwort vorliegt, als Erinnerungsroman bezeichnet, in dem die meisten Ereignisse, aber nicht alle Akteure real waren, es aber hätten gewesen sein können. Wer sich für ein authentisches, aber dennoch aus der Distanz vieler Jahrzehnte erzähltes, ebenso dichtes wie kurzweilig zu lesendes Zeitporträt aus dem Frankfurt der 30er Jahre interessiert, oder wer einfach nur ein ebenso ungewöhnliches wie anspruchsvolles Buch lesen möchte, sollte hier zugreifen.

Herbert Heckmann: Die Trauer meines Großvaters, Schöffling & Co. 2022, 346 Seiten, 24 Euro

Manchmal übertreffen Punks die Polizei

Irgendwann des Punkerdaseins müde, aber auch ohne bürgerliche Berufsperspektive, eröffnet Sandy mit Unterstützung einer weiteren Ex-Punkerin, die sich inzwischen zu einer veritablen Anwältin gemausert hat, eine Detektei. Seit Sherlock Holmes und Inspector Lestrade unvermeidlich: Der Polizeibeamte, der mal als Konkurrent, mal als Partner an den Ermittlungen beteiligt ist, und hier obendrein noch verdammt gut aussieht. Komplettiert wird das Trio, dem die Autorin inzwischen noch weitere literarische Leichen vor die Füße geworfen hat, durch einen weiteren ziemlich chaotischen Szene-Kumpel, der oft ebensoviel Heil wie Unheil stiftet. Im Wechsel zwischen Kooperation und Konflikten lösen sie Fälle, in denen die Polizei ohne die Erfahrungen von Straßenleben, Hausbesetzungen und Milieukontakten allein nicht weiterkäme.

Und das schon gar nicht bei undurchsichtigen Fallkonstellationen, wie sie sich wohl nur in einer Stadt wie Frankfurt mit internationaler Vernetzung und Verstrickung zahlloser internationaler legaler wie illegaler Akteure und einem toxischen Gemisch aus Macht, Drogen und vor allem Geld zusammenbrauen können. Im ersten Fall erhält ein Professor für Turkologie Todesdrohungen, die sich schon nach ein paar Tagen als höchst real erweisen – und jetzt soll Sandy im Auftrag der Witwe weiter ermitteln, wobei sie alsbald von rätselhaften Vorfällen behindert wird. Aber wer weiß von ihren Ermittlungen, was steckt dahinter? Eskalierter Konkurrenzneid unter Kollegen, eine Institutsintrige, eine Eifersuchtsgeschichte? Erst als Sandy selbst dem Täter in die Fänge gerät, werden die Zusammenhänge klar.

Auch der zweite Fall beginnt blutig; dieses Mal sitzt ein Anwalt tot an seinem Schreibtisch. Eine Spur führt ins Zuhältermilieu, eine andere in ein Waisenhaus nach Südafrika. Im Umfeld geschieht ein zweiter Mord und es tauchen immer mehr Leute auf, die vor irgendetwas Schutz suchen. Als es ziemlich zeitgleich sowohl den Ermittlern als dem Täter selbst dämmert, wie nahe die Lösung gerückt ist, endet der Fall in einem rasanten Finale.

Erzählt werden die Fälle aus der Ich-Perspektive von Sandy, deren Vorgehen und Überlegungen, ebenso die gelegentlichen Ausflüge und Rückfälle ins Punkerdasein die Autorin vergnüglich und ironisch in Szene zu setzen weiß. Dass sie im Gegensatz zu ihrer Hauptfigur bei ihren Recherchen bisweilen selbst mal nicht allzu gründlich vorgegangen ist, dürfte wohl nur Insidern auffallen – wie dem Autor dieser Rezension, der selbst Turkologie studiert hat. Ansonsten machen neben den rasanten Fällen das verschlungene Privatleben der Protagonisten sowie die treffsicheren Skizzen der reichhaltigen Frankfurter Stadtgesellschaft mit ihren unzähligen Facetten Appetit auf die weiteren Fälle dieser Truppe.

Katja Kleiber: Der Prof mit dem Sarg. Ein Frankfurt-Krimi. Sandys 1. Fall, Neopubli 2021, 256 Seiten, 9,95 Euro

Katja Kleiber: Der Anwalt ohne Hose. Sandy ermittelt in Frankfurt, Neopubli 2021, 338 Seiten, 12 Euro

(Text: PM / StockSnap auf Pixabay)

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