Ein persönlicher Abschied von einem der besten Fußballer, der jemals bei Eintracht Frankfurt gespielt hat.

Von Michael Kercher

Wenn es um Treue in der Bundesliga und vor allen Dingen bei Eintracht Frankfurt geht, ist immer die Rede vom treuen Charlie. Gemeint ist Charlie Körbel, der 602 Bundesliga Spiele für Eintracht Frankfurt bestritt und damit bundesweit der Spieler mit den meisten Bundesligaeinsätzen ist und sich als der treue Charlie einen Namen gemacht hat.

Aber es könnte genauso gut auch der treue Grabi heißen, denn Jürgen Grabowski bestritt 441 Bundesliga Spiele und schoss dabei 108 Tore: alle für Eintracht Frankfurt. Damit steht er nicht nur für grandiose Dribblings und wunderschöne Tore, sondern auch für eine Epoche, in der sich die Spieler noch mit ihrem Verein identifizierten. Ein sehr guter Freund von mir sagte einmal folgenden Satz: „Du kannst deine Automarke wechseln, du kannst auch deine Religion wechseln und du kannst sogar deine Frau wechseln, aber du kannst niemals deinen Lieblingsverein wechseln. Einmal Eintracht Frankfurt, immer Eintracht Frankfurt! Daran gibt es niemals etwas zu rütteln.“

Nun ja, das mag sehr wohl für die Fans gelten, aber für die Spieler gilt das schon lange nicht mehr. Diese wechseln für ein paar Euro mehr ihren Verein, wie andere Leute ihre Unterwäsche. Und so frage ich mich manchmal wem wir Fans denn eigentlich treu sind, wenn wir beispielsweise Eintracht Frankfurt ewige Treue schwören und halten.

Adler sterben und die Ratten gedeihen

Ist es vielleicht der Eintracht Adler, mit dem wir uns identifizieren? Aber schon Udo Jürgens sang das Lied von den Adlern, die sterben, während die Ratten gedeihen.

Diese Briefmarke aus Paraguay zeigt Jürgen Grabowski mit dem WM-Pokal nach dem Finalsieg bei der Weltmeisterschaft 1974. (Foto: Wikipedia)

Und somit ist mit Jürgen Grabowski auch ein echter Eintracht Adler von uns gegangen.

Er verzauberte uns mit Dribblings und Toren und er gewann unsere Herzen mit seiner Treue und mit seiner Nähe zu seinen Fans. Und er hatte sogar ein Herz für seine „Feinde“. Ich hatte im Jahr 1980 meine Begegnung der besonderen Art mit Jürgen Grabowski.

Damals arbeitete ich als langhaariges Schlagzeug Monster in der Sportredaktion der Bild-Zeitung Frankfurt. Ich war noch ganz jung und völlig unerfahren und wusste nicht, dass Grabi im Streit mit der Bild-Zeitung war, weil er sich in der Berichterstattung ungerecht behandelt gefühlt hat. Somit wechselte er kein einziges Wort mehr mit unserem Chef Redakteuren. Es war Mittwoch und es war Länderspieltag mit der Deutschen Fußballnationalmannschaft. In der Halbzeitpause sagte unser damaliger Sportchef Werner Bremser zu mir: „Herr Kercher, hier ist die Nummer von Jürgen Grabowski. Rufen Sie den Herrn Grabowski doch bitte mal nach dem Spielende an und fragen Sie ihn zu seiner Einschätzung zu dem Länderspiel der Deutschen Fußball Nationalmannschaft. Darüber schreiben Sie dann ein paar Worte.“ Die gesamte Sportredaktion grinste schon heimlich und freute sich auf die Abfuhr, die dem unerfahrenen Jungspund bevorstand. Aber, von wegen.

Die kannten unseren Grabi schlecht. Wahrscheinlich roch dieser den Braten und ahnte, dass die Kollegen einen unerfahrenen Redakteur an die „Front“ geschickt hatten, um den schön zu verladen und sich eine Abfuhr einzuholen. Von daher gab mir der überaus freundliche Herr Grabowski bereitwillig und freundlich Auskunft und erzählte mir seine Einschätzung von dem Fußballländerspiel. Ich schrieb alles fleißig mit, bedankte mich genauso freundlich bei dieser Fußball-Ikone, wie er zu mir war und ging zu meinem Chefredakteur, um diesem dieses kurze Interview zu präsentieren. Schon wendete sich das Blatt.

„Seht ihr, den Herrn Kercher kann man schicken,“ waren seine Worte, mit denen er meinen Kollegen aufzeigte, dass Jürgen Grabowski sehr wohl auch mit der Bild-Zeitung sprechen würde, wenn man nur den richtigen Ton anschlägt.

Es gibt übrigens sehr viele Geschichten, die belegen, dass Grabi immer ein Mensch blieb und immer ein offenes Ohr für seine Fans hatte. Den richtigen Ton hat er aber vor allem auf dem Fußballplatz angegeben. Seine Erfolge sind einzigartig.

Der beste Auswechselspieler der WM in Mexiko

In seinen 441 Bundesligaspielen schoss er 109 Tore für Eintracht Frankfurt und wurde 1974 und 1975 mit der Eintracht Deutscher Pokalsieger. Aber auch seine Karriere in der Deutschen Fußballnationalmannschaft kann sich sehen lassen. Was wenige wissen, ist, dass Jürgen Grabowski 1966 mit der Deutschen Fußballnationalmannschaft in England Vize-Weltmeister wurde. Das lag allerdings vor allem daran, dass er in diesem Turnier nicht ein einziges Mal zum Einsatz kam.

Auch die 22 Spieler vom Vfl Bochum und der Eintracht gedachten Grabi mit einer Schweigeminute.(Foto: Patrik Meyer)

1970 bei der Weltmeisterschaft in Mexiko sah das schon ganz anders aus. Zwar gehörte er auch da noch nicht zum Stammpersonal, aber er erspielte sich einen ganz besonderen Ruf. Bei der Weltmeisterschaft 1970 in Mexiko wurden nämlich das erste Mal Auswechselspieler zugelassen: zumindestens einer. Und dieser Auswechselspieler war so gut wie immer Jürgen Grabowski. Bei dem Viertelfinal-Spiel gegen England, welches schon so gut wie verloren war, da die deutsche Nationalmannschaft mit 0:2 zurück lag, kam mit Grabi die Wende und ohne ihn hätten Uwe Seeler und Gerd Müller niemals ihre Tore zum 3:2 Erfolg und zum anschließenden Weiterkommen in das Halbfinale geschossen. Im Halbfinale gegen Italien, welches als Jahrhundert-Spiel in die Geschichte eingehen sollte, spielte er von Anfang an, war einer der besten und schlug in letzter Sekunde die Flanke, welche ausgerechnet der „Deutsch-Italiener“ Karl Heinz Schnellinger zu seinem berühmten Ausgleichstor in letzter Sekunde verwerten konnte. Jürgen Grabowski wurde bei diesem Turnier der „beste Auswechselspieler der Welt“, wobei es in seinem Fall eher der beste Einwechselspieler der Welt hätte heißen müssen. Aber damit nicht genug.

Bei der Weltmeisterschaft 1974 in Deutschland wurde Jürgen Grabowski nicht nur Weltmeister, sondern hatte auch entscheidenden Anteil daran, dass Deutschland Fußball-Weltmeister wurde.

In dem wichtigen und dramatischen Spiel in der zweiten Finalrunde gegen Schweden schoss er, wieder in seiner Mexiko-Rolle als Auswechselspieler, das vorentscheidende drei zu zwei, er kämpfte sich somit seinen Stammplatz zurück und war in den beiden letzten Spielen gesetzt. In der legendären Wasserschlacht gegen Polen im damaligen Waldstadion in Frankfurt, die quasi den Status eines Halbfinales hatte, war Grabi einer der besten deutschen Spieler, verhalf Deutschland zum Einzug ins Finale gegen Holland und war auch bei dem Endspiel in München mit seinen unwiderstehlichen Dribblings maßgeblich daran beteiligt, dass Deutschland die Niederlande mit 2:1 besiegte und Fußball-Weltmeister wurde. Passenderweise war dieses Finale an seinem 30. Geburtstag und danach beendete Grabi seine Länderspiel-Karriere, obwohl der damalige Bundestrainer Helmut Schön immer wieder versuchte Jürgen Grabowski zu einem Comeback in der Deutschen Fußballnationalmannschaft zu überreden. Aber der große Grabowski hielt es, wie der große

Fritz Walter und blieb standhaft, feierte kein Comeback und trat im Gegensatz zu vielen anderen auf dem Höhepunkt seiner Karriere in der Nationalmannschaft zurück.

Lothars Blutgrätsche beendete Grabis Karriere

Seiner geliebten Eintracht blieb er allerdings noch ein paar Jahre treu und wurde 1980 mit Eintracht Frankfurt UEFA-Pokal-Sieger. Dann kam der Rücktritt wider Willen, leider eingeleitet durch einen Tritt. 1980 wurde die großartige Karriere von „unserem“ Grabi durch eine „Blutgrätsche“ von Lothar Matthäus beendet. Grabi kam nach dieser schweren Verletzung in seinem Sprunggelenk nicht mehr zurück. Eine Entschuldigung von Lothar blieb übrigens aus. Im Gegenteil; Lothar trat noch nach. Sein Interview mit dem Wiesbadener Tagblatt lautete wie folgt:

„Ich kann die Szene noch nachvollziehen. Ein normaler Zweikampf, ich habe ihn nicht berührt. Es gab nicht mal Freistoß.“ Und weiter: „Vielleicht hatte er damals eine gute Versicherung abgeschlossen und wollte gar nicht mehr zurückkommen. Bei einer solchen Verletzung muss man ganz sicher keine Karriere aufgeben.“

So schlecht wie sein verbales Nachtreten war auch Lothars sportlicher Abgesang. Matthäus  führte die deutsche Nationalmannschaft bei der EM 2000 zur schlechtesten Vorrunde aller Zeiten bevor er endlich, zwar ungetreten, aber unrühmlich zurück trat.

Aber heute nehmen wir Abschied, nicht nur von einem grandiosen, filigranen und einzigartigen Fußballer, sondern auch von einem liebenswerten Menschen, der seinem Verein und seinen Fans immer treu geblieben ist und sich immer darum bemüht hat, mit jedem auf Augenhöhe zu sprechen und ein offenes Ohr für jeden zu haben. Wir alle sagen „Tschüss und danke Grabi und wir hoffen, dass es dir da, wo du jetzt bist, gut geht und du voller Freude auf deine Eintracht und deine Nachfolger blicken kannst. Grabi, mach’s gut und danke für alles!“

 

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