Als am 25. Juni 1963 der US-amerikanische Präsident John F. Kennedy in der Paulskirche stand, hielt er eine viel beachtete Rede. Einige Worte klingen für uns besonders nach, auch jetzt fast 60 Jahre später:  „Keine parlamentarische Versammlung hat jemals größere Anstrengungen unternommen, etwas Vollkommenes ins Werk zu setzen. Und obwohl ihre Bemühungen scheiterten, kann kein anderes Gebäude in Deutschland begründeten Anspruch auf den Ehrentitel ‚Wiege der deutschen Demokratie‘ erheben.“

Dass die Paulskirche, auf die man von der Nordseite des Römers einen wunderbaren Blick hat, diesen Titel einmal tragen würde, war in ihrer wechselvollen Geschichte lange nicht ausgemacht. Nur von der Zeit her betrachtet, ist es erstaunlich, wie sehr die vergleichsweise knappe Episode unsere Gegenwart geprägt hat, in der die Kirche ein Parlament war, das bald mit der deutschen Demokratie für Jahrzehnte in der Schublade der Geschichte verschwand.

Und doch steht die Paulskirche heute für den Freiheitswillen der Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt und dieses Landes. Sie definiert Frankfurt und wie die Frankfurterinnen und Frankfurter denken. Das Bauwerk im Herzen der Stadt ist ein großartiges Symbol der deutschen Demokratie und der nationalen Einheit. Es ist unsere Geschichte, auf die man stolz sein kann. Doch im Vergleich zu anderen Ländern gehen wir mit dem großen Symbol Paulskirche sehr bescheiden um.

So ist es ein großes Glück, dass in den vergangenen Jahren zwei wichtige Schritte unternommen wurden: Einerseits die Erkenntnis, dass die nötige Sanierung der Paulskirche mehr sein sollte als nur eine bloße Sanierung. Und andererseits die Idee eines Hauses der Demokratie, dass in unmittelbarer Nähe der Paulskirche nicht nur die Geschichte jener Revolution erzählt, die 1848 hier in Frankfurt passierte – sondern auch Hinweise darauf gibt, was uns diese Revolution, was uns diese neue Demokratie heute noch sagen kann.

Es gibt Beispiele für solche Vermittlung. Etwa in Frankfurts Partnerstadt Philadelphia, wo man Ursprung der amerikanischen Demokratie und Unabhängigkeit regelrecht zelebriert: Jedes US-amerikanische Schulkind erfährt von dieser Geschichte hautnah. In Frankfurt ist die Paulskirche dagegen in einem Dornröschenschlaf. Das Demokratiezentrum ist eine große Chance, die Paulskirche von der lokalen auf die nationale Bühne zu bringen. Gerade in Zeiten wieder erstarkenden Rechtspopulismus, in Zeiten, in denen Antisemitismus und Xenophobie um sich greifen, ist eine bundesweite Debatte über demokratische Werte und Prinzipien mehr denn nötig.

Zugleich steht 2023 ein besonderes Jahr an: Dann jährt sich die Revolution von 1848 zum 175. Mal. Bis 1849 tagte dort die Nationalversammlung. Der Kirchenbau war 1833 eingeweiht worden, das Parlament bediente sich ihm als damals größtem und modernstem Versammlungsraum. Dafür wurden schwarz-rot-goldene Fahnen an Wände und Fenster gehängt, die Orgel verdeckt. Am 18. Mai 1848 trat die Nationalversammlung erstmals zusammen, bald darauf wurde Johann von Österreich zum ersten parlamentarisch gewählten Staatsoberhaupt Deutschlands. Die junge Demokratie blieb nicht von Dauer, nein: Sie scheiterte. Aber sie blieb, daran erinnerte Kennedy bei seinem Besuch, im kollektiven Gedächtnis.

1944 wurde die Paulskirche komplett zerstört. Ihr Neuaufbau begann kurz nach Kriegsende. Eingeweiht wurde sie am 18. Mai 1948 anlässlich der Hundertjahrfeier der Deutschen Nationalversammlung. Das zeigt schon, welche Wichtigkeit man ihr zu jeder Zeit und noch in den dunkelsten Stunden zumaß.

Seit Kriegsende dient sie als Ort der Erinnerung an den Beginn der deutschen Demokratie – und als Saal für staatliche oder städtische Veranstaltungen wie dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels oder dem Goethepreis der Stadt Frankfurt. Die Rede von John F. Kennedy ist nur eine von vielen großen Reden, die hier gehalten wurden.

Doch zugleich ist die Paulskirche ein Ort der Exklusivität geworden. Das Haus der Demokratie wäre eine Chance, über Demokratie zu diskutieren mit allen Generationen und Schichten, über Demokratie zu streiten, spielerisch sich diesem großen Thema zu nähern und letztlich hinter das Geheimnis zu kommen, warum sie hier in Frankfurt ihren Anfang nahm und bis heute für das Wesen unserer Stadt steht.

Für mich gibt es eine Linie von den Händlern der Römerzeit bis heute: Aus Offenheit und Toleranz ergeben sich lange Zeiten des Friedens, der Stabilität und damit das Fundament von Wohlstand, Fürsorge und Solidarität.

Wir müssen die Paulskirche wieder stärker in den Mittelpunkt unserer Stadt, aber auch unseres Landes stellen. Aus Geschichte zu lernen, heißt, für die Zukunft besser gewappnet zu sein. Wir sollten die Paulskirche mehr öffnen und zu einem Ort der Diskussion, der öffentlichen Debatten machen. Ich würde mir wünschen, dass auch in der Paulskirche das Engagement und die Internationalität unserer Stadt sichtbar werden. Die ersten Brücken dahin, hat das Stadtparlament mit ihren Beschlüssen zur Sanierung der Paulskirche und der Forderung eines Hauses der Demokratie getan. Die ersten Bürgerinnen und Bürger haben sich, ganz im Sinne der Tradition unserer Stadt, zusammengetan – etwa im Netzwerk Paulskirche – um für das Haus der Demokratie zu werben und das Jubiläum in zwei Jahren zu gestalten. Und auch der Bundespräsident und das Bundeskanzleramt stehen an Frankfurts Seite, längst nicht nur mit Geld allein, sondern mit dem unbedingten Willen sich einzubringen. Wie übrigens auch Politikerinnen und Politiker von der Linken bis in konservative Kreise. Die Paulskirche macht mir deshalb Hoffnung – abseits aller Krisen, aller Rückschläge für die Demokratie geht es voran. Kennedy schloss seine Rede einst mit einem Zitat aus Goethes Faust, das für mich immerwährende Gültigkeit besitzt: „Dies ist der Weisheit letzter Schluss: Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, der täglich sie erobern muss.“

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